Muttertag: Was hatten die Nazis mit ihm zu tun?
Ein Herz mit der Aufschrift „Zum Muttertag“ steckt in einem Topf mit der Pflanze Flammendes Käthchen. In Deutschland geht der Muttertag auf die emsige Initiative des Blumenhandels zurück.
© Quelle: Robert Michael/dpa-Zentralbild/d
Der Muttertag wird am Sonntag 100 Jahre alt. Es ist ein Tag mit Tradition, an dem sich die Geister scheiden. Während die Schaufenster der Geschäfte rosarote Herzen und Blumen schmücken, Kinder in den Kitas eifrig kleine Muttertagsgeschenke basteln und Mütter in Fernsehspots zu kitschigen Werbeslogans vor Glück um die Wette strahlen, halten andere den Tag durchaus für verzichtbar. Sie argumentieren: Der Muttertag bedient nur alte Geschlechterrollenklischees und ist eine Konsumschlacht, an der vor allem der Einzelhandel verdient. Wertschätzung für die Mütter? Dafür braucht es keinen einzelnen Tag, sondern das sollte das ganze Jahr über passieren.
Viele stören sich aber auch an dem historischen Erbe des Muttertags. Er sei eine Erfindung des Nationalsozialismus, heißt es oft. Doch stimmt das?
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500 Nelken sind der Anfang
Der Ursprung des Muttertags reicht weit zurück – bis in die Antike. Bei ihren Frühlingsfesten huldigten die alten Griechen zum Beispiel Rhea, der Göttin der Erde und der Fruchtbarkeit. Britische Historikerinnen und Historiker berichten vom „Mothering Day“, dessen Tradition, zunächst „Mutter Kirche“ gewidmet, im Mittelalter begann. Später durften an diesem Tag im Frühling vor allem Kinder im Dienste wohlhabender Familien zu ihren Müttern zurückkehren. Als kleines Geschenk brachten sie ihnen unterwegs gepflückte Blumen mit.
Die Anfänge des Muttertags in seiner modernen Form liegen in den USA. Die Dichterin und Frauenrechtlerin Julia Ward Howe hatte 1870 angesichts von Krieg und Sklaverei einen „Muttertag des Friedens“ gefordert. Diese Idee hatte die Feministin Anna Jarvis Jahrzehnte später wieder aufgegriffen. Sie gilt als die „Mutter des Muttertags“. Ihr schwebte damals vor, einmal im Jahr die politische Rolle der Frauen in der Gesellschaft zu würdigen. Vorbild war ihre Mutter Anna Maria Reeves Jarvis gewesen, die die „Mother’s Days Works Clubs“ ins Leben gerufen hatte, in denen sie sich gegen die hohe Kindersterblichkeit und für Gesundheitsförderung einsetzte. Sie verstarb am 9. Mai 1905.
Am dritten Todestag ihrer Mutter wollte Anna Jarvis diese mit einem besonderen Gedenkgottesdienst ehren. Sie verteilte 500 rote und weiße Nelken, die Lieblingsblumen ihrer Mutter, an alle Mütter, die am Gottesdienst in der St. Andrew’s Methodist Episcopal Church im US-Bundesstaat West Virginia teilgenommen hatten. Die roten Nelken sollten die lebenden Mütter ehren, die weißen der verstorbenen gedenken. Noch heute ist die Nelke ein beliebtes Muttertagsgeschenk.
Anna Jarvis setzte sich jahrelang dafür ein, den Muttertag zum anerkannten Staatsfeiertag zu machen. Auf Wunsch des Kongresses führte US-Präsident Woodrow Wilson 1914 schließlich den zweiten Sonntag im Mai als nationalen Ehrentag ein. Doch schnell wurde er kommerzialisiert, wogegen Jarvis hart, aber vergeblich kämpfte. Dass der Muttertag seine Wurzeln in der Frauenbewegung hatte, geriet in Vergessenheit.
Nationalsozialisten vergeben „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“
Es dauerte nicht lange, bis die Idee des Muttertags nach Europa herüberschwappte – zunächst nach England, Skandinavien und in die Schweiz. In Deutschland gab es den ersten Muttertag am 13. Mai 1923, initiiert aus rein kommerziellen Interessen vom „Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber“. Eingeführt wurde er als „Tag der Blumenwünsche“, für den etwa Plakate mit der Aufschrift „Ehret die Mutter“ warben.
Wenige Jahre später geriet der Ehrentag dann in die Fänge der Nationalsozialisten. Auch wenn sie ihn nicht erfunden haben, so missbrauchten sie ihn zumindest zu propagandistischen Zwecken. 1934 erklärten sie den Muttertag zum nationalen Fest und reduzierten die Rolle der Frau auf ihre Gebärfähigkeit. „Mit jedem Kind, das die Frau der Nation zur Welt bringt, kämpft sie ihren Kampf für die Nation“, betonte Adolf Hitler.
Am Muttertag 1939 etwa wurde drei Millionen Frauen das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“ verliehen – eine Medaille für besondere Gebärleistungen. Ab dem vierten Kind gab es die Auszeichnung in Bronze, ab dem sechsten in Silber, für acht und mehr Kinder die Variante in Gold. Vorausgesetzt, die Lebensweise der Frauen ging mit den Wertvorstellungen des NS-Regimes einher.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Muttertag zunächst abgeschafft. Doch schon Anfang der 50er erlebte er ein Comeback – zumindest in der Bundesrepublik. Dort war er dann vor allem Kommerz. In der DDR, wo der Muttertag als westlich-reaktionär verschrien gewesen ist, ersetzte ihn der Internationale Frauentag am 8. März.
Muttertag umbenennen?
Doch auch heute, hundert Jahre später, haftet der Nationalsozialismus am Muttertag. Unter anderem deshalb kommt jetzt die Forderung auf, ihn umzubenennen – in Elterntag.
„Ich glaube, dass wir den Muttertag umwidmen sollten in einen Elterntag, sonst schieben wir der Mutter eine Verantwortung zu, die sie allein nicht wahrnehmen kann und auch nicht wahrnimmt“, argumentiert Familien- und Bildungsforscher Wassilios Fthenakis. Auch der Vatertag könne auf diese Weise umgewidmet werden. „Elterntag als Tag der Liebe, des Miteinanders, des Verständnisses und Respekts.“ Keine Gesellschaft könne ohne die Eltern bestehen. „Wir werden mit einem Modell nicht die ganze Vielfalt abbilden, aber den Geist, der dahintersteckt.“
RND/mit Material der dpa