„Zeitenwende“ der Klimabewegung? Was nach den Razzien bei der Letzten Generation passieren könnte
Aimee van Baalen, Sprecherin der Letzten Generation, steht am Ende einer Pressekonferenz der Letzten Generation in der Reformationskirche in Berlin-Moabit.
© Quelle: picture alliance/dpa
Nach den bundesweiten Razzien gegen Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation geht es vor allem um eine Frage: Ist die Protestgruppe eine „kriminelle Vereinigung“? Doch nicht nur die rechtlichen Konsequenzen für die Klimagruppe sind offen, auch die Folgen für die Klimabewegung im Allgemeinen sind unklar. Was passiert mit den Klimaprotesten, wenn die Gruppierung tatsächlich kriminalisiert wird? Verschwindet sie? Wird sie radikaler? Oder ist es eine Chance für Fridays for Future, wieder mehr in den Vordergrund zu rücken?
Für den Soziologen Ortwin Renn ist klar: Die Razzien schaden nicht nur der Letzten Generation, sondern auch der gesamten Klimabewegung. Renn war Wissenschaftlicher Direktor des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit – Helmholtz Zentrum Potsdam. Denn auch wenn die Letzte Generation viel mehr Raum in den Medien eingenommen habe, sei Fridays for Future weiterhin aktiv gewesen. „Wenn es tatsächlich darum geht, Klimapolitik zu machen, ist Fridays for Future wesentlich stärker engagiert als zuvor“, sagt Renn dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Der radikale Arm der Klimabewegung“
Die beiden Protestgruppen würde zwar das gemeinsame Ziel einen, das Vorgehen von Fridays for Future sei der Letzten Generation aber nicht radikal genug. „Sie glauben, dass sie die Letzte Generation vor den Kipppunkten sind – das sagt ja schon ihr Name“, sagt Renn. Deswegen sei die Letzte Generation so etwas wie der „radikalisierte Arm der Klimabewegung“. Die Aktivistinnen und Aktivisten seien überzeugt, dass ein zeitnahes Handeln unausweichlich sei, um das Ende der Menschheit durch den Klimawandel aufzuhalten. Das sei mit einer apokalyptischen Sicht auf die Welt verbunden, erklärt Renn. „Weder die Wissenschaft noch Fridays for Furture würden so weit gehen.“
Die Radikalität der Proteste schrecke mehr Menschen von der Klimabewegung ab als sie für sich zu gewinnen, glaubt Renn. „Je stärker sich die Gruppe radikalisiert, desto eher wird negativ über sie geredet. Und dass geredet wird, bedeutet am Ende eben nicht, dass Veränderungen für den Klimaschutz stattfinden.“ Umfragen würden zeigen, dass Menschen die Aktionen der Letzten Generation für ungerechtfertigt halten, sie gar dem Klimaschutz schaden. Statt der Radikalisierung und der Polarisierung brauche es vereinte Kräfte, sowohl innerhalb der Klimabewegung eine klare, aber realistische Marschroute für den Klimaschutz festzulegen als auch Anschlussfähigkeit mit Politikerinnen und Politikern herzustellen, die den Klimaschutz voll unterstützen.
Das sieht übrigens auch die Letzte Generation so: „Wir wollen unsere Proteste weiterhin intensivieren, am liebsten mit Fridays for Future zusammen natürlich“, erklärt Pressesprecherin Josephine Schwenke. Es brauche die Breite der Gesellschaft und der Klimagerechtigkeitsbewegung, um „der Klimakrise entgegenzutreten und das Überschreiten klimatischer Kipppunkte zu verhindern.“
„Wenn die Letzte Generation alleine wäre, würde sie gar keinen Erfolg haben“
Allianzen hält Soziologe Renn ebenfalls für sinnvoll: „Wenn die Letzte Generation alleine wäre, würde sie gar keinen Erfolg haben.“ Die Geschichte habe gezeigt, dass eher moderatere Protestbewegungen langfristig Erfolg gehabt hätten. Allerdings häufig angeschoben durch radikale Proteste, die dann aber in den Hintergrund treten. Eine Chance für Fridays for Future: „Sie greifen die Maßnahmen auf, die die Politik eigentlich auch umsetzen will. Und schubsen sie ein wenig stärker in genau diese Richtung“, sagt Renn.
Aktuell achte die Politik besonders darauf, wie eine potenzielle Wählerschaft auf die Letzte Generation und die Razzien reagiere, sagt Renn: „Sie sieht, dass die Gruppe keine Resonanz aus der Bevölkerung erfährt und zieht daraus die Legitimation, schärfer gegen die Letzte Generation vorzugehen.“ Um weiter Resonanz, aber vor allem Zustimmung aus der Gesellschaft zu erfahren, müssten die Aktivistinnen und Aktivisten der Gesellschaft verdeutlichen, wo die Grenzen ihres Widerstandes stünden. Und: „Dass sie sich nicht vorhaben, sich weiter zu radikalisieren. Denn die Gefahr ist sehr groß, dass sie sich bei Verschärfung der Aktionen noch weiter vom gesellschaftlichen Mainstream entfernen.“
Klima-Check
Erhalten Sie die wichtigsten News und Hintergründe rund um den Klimawandel – jeden Freitag neu.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Der moderate Ansatz von Fridays for Future sei nicht nur für ihre Ziele, sondern auch für die Gruppierung an sich vielversprechend. Im Zuge der Razzien gebe es sicherlich einige, die Abstand von der Letzten Generation nähmen. „Fridays for Future wird noch stärker in politische Prozesse eingebunden werden“, erklärt Renn. „Denn mit den Moderaten kann sich die Politik anfreunden, um der Jugend zu zeigen, dass man sie gehört hat. Mit den Radikalen wollen die meisten aber nichts zu tun haben.
Von einer Zeitenwende nach der Razzia, möchte Renn allerdings nicht ausgehen. „Sicher ist dies eine bedeutende Wegmarke in der Auseinandersetzung zwischen Politik und der Letzten Generation. Der Staat zeigt scharfe Zähne, die aber die Bewegung nicht aufhalten wird. Allerdings wächst damit die Kluft zwischen Politik und den radikalen Klimaschutzgruppen.