Mit Vorratsdatenspeicherung gegen Urheberrechtsverletzungen?
Vor den Bürotürmen des Europäischen Gerichtshofs mit der Aufschrift „Cour de Justice de l'union Européene“ im Europaviertel auf dem Kirchberg.
© Quelle: Arne Immanuel Bänsch/dpa
Nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern der EuGH ist das Bollwerk gegen die Einführung von Vorratsdatenspeicherungen in der EU. 2014 und 2016 erklärte er eine anlasslose Speicherung der Internet- und Telekom-Verkehrsdaten der gesamten Bevölkerung für unverhältnismäßig. Unter dem Druck der EU-Staaten weichte er das generelle Verbot 2020 allerdings auf und ließ die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung schwerer Kriminalität zu. Entscheidendes Beispiel war für den EuGH die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet, die ohne allgemein gespeicherte IP-Adressen kaum aufgeklärt werden könne.
Die Befürworter der Vorratsdatenspeichterung gaben sich damit aber nicht zufrieden. Sie wollen die Daten zur Verfolgung jeder Internetkriminalität verwenden. Im konkreten EuGH-Fall geht es um Urheberrechtsverletzungen. Wenn der EuGH dem Drängen hier nachgibt, könnte es bald auch um Beleidigungen und Verleumdungen im Internet gehen.
Der konkrete Fall kommt aus Frankreich. Dort wurde 2010 eine Art Urheberrechtspolizei namens Hadopi eingerichtet, die in Internettauschbörsen nach illegalen Downloads von Musik und Filmen fahndet. Anhand der IP-Adressen identifiziert sie die illegalen Filesharer und greift dabei auch auf die Daten der französischen Vorratsdatenspeicherung zu. Wer zum ersten Mal erwischt wird, erhält eine Warnung per E-Mail. Beim zweiten Mal kommt die Warnung per Einschreiben, nach dem dritten Mal gibt es Geldbußen. Die Möglichkeit zu Internetsperren wurde 2013 abgeschafft.
Bis 2019 verschickte die Hadopi-Behörde 12,7 Millionen Warnschreiben, forderte aber nur insgesamt 87.000 Euro Bußgelder ein. Da die Behörde bis dahin 82 Millionen Euro Kosten verursachte, ging sie 2022 in der neuen Regulierungsbehörde Arcom auf. Der neue Name änderte aber nichts an der Rechtslage.
Verbände klagten gegen IP-Adressen-Nutzung
2019 klagten vier französische Verbände, darunter die Cyber-Bürgerrechtler von „La Quadrature du Net“, gegen die Nutzung von IP-Adressen durch Hadopi. Die Auswertung der IP-Adressen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen sei unverhältnismäßig und verstoße gegen die EuGH-Rechtsprechung. Der französische Conseil d‘Etat, eine Art oberstes Verwaltungsgericht, hielt die Hadopi-Praxis dagegen für zulässig und legte den Fall dem EuGH vor. Bei einer ersten mündlichen Verhandlung im Juli 2022 sprachen sich alle beteiligten Regierungen (unter anderem aus Frankreich, Schweden und Dänemark) für die Zulässigkeit der Hadopi-Praxis aus.
Der unabhängige Generalanwalt Maciej Szpunar, dessen Gutachten das EuGH-Urteil vorbereiten soll, stellte im Oktober 2022 zwar fest, dass die Nutzung von IP-Adressen zur Verfolgung von Filesharern den EuGH-Urteilen widerspricht. Szpunar forderte den EuGH aber ausdrücklich auf, seine hohen Hürden weiter abzusenken. Künftig sollten die anlasslos gespeicherten Internetdaten für die Verfolgung aller Straftaten genutzt werden können, bei denen die aufgefundene IP-Adresse der „einzige Anhaltspunkt“ für Ermittlungen darstellt. Es dürfe keine „systemische Straflosigkeit“ für Straftaten im Internet geben. Die Anordnung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde hielt Szpunar für unpraktikabel – bei rund einer Million Fälle pro Jahr.
EuGH verhandelt neu
Der EuGH zeigte sich durch Szpunars Schlussanträge so beeindruckt, dass er die mündliche Verhandlung neu eröffnete. Sie wird an diesem Montag und Dienstag stattfinden. Die Sache gilt als so grundsätzlich, dass sogar das Plenum aller 27 EuGH-Richter verhandelt. Das Urteil wird dann erst in einigen Monaten verkündet.
Sollte der EuGH auf Szpunars Linie einschwenken, hätte das für Deutschland zwar keine direkten Folgen, würde aber auch in Deutschland die Begehrlichkeiten steigern. Seit Monaten schon versucht Innenministerin Nancy Faeser (SPD), eine anlasslose Speicherung der IP-Adressen zur Verfolgung von Kinderpornografie durchzusetzen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) blockiert das Vorhaben nach wie vor unter Berufung auf den Koalitionsvertrag der Ampel. In der nächsten großen Koalition wird es dann aber sicher einen neuen Anlauf für eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung geben.