Wie Achtsamkeit bei Schmerzen helfen kann
Kopfschmerzen? Eine Frau hält eine Hand gegen die Stirn.
© Quelle: Matteo Vistocco/Unsplash
In buddhistischen Schriften ist schon in einer 2500 Jahre alten Lehrrede von Buddha an die Mönche von einem achtsamen Umgang mit Schmerz die Rede: „Wird da, ihr Mönche, der ungelehrte gewöhnliche Mensch von einem Wehgefühl getroffen, dann ist er traurig, beklommen, er jammert, schlägt sich stöhnend an die Brust, gerät in Verwirrung. So empfindet er zwei Gefühle: ein körperliches und ein gemüthaftes. Gleichwie, ihr Mönche, wenn da ein Mann von einem Pfeil angeschossen würde, und er würde dann noch von einem zweiten Pfeil angeschossen. Da würde dieser Mensch, ihr Mönche, die Gefühle von zwei Pfeilen empfinden.“
Mit dieser Metapher wird erläutert, dass der Mensch nur den undifferenzierten Schmerz beider Pfeile, also beider Schmerzkomponenten wahrnimmt – er also nicht weiß, dass dieser sich aus zwei Anteilen zusammensetzt: Dem primären sensorischen Schmerz und – weil er dieser Erfahrung mit innerem Widerstand entgegentritt – einer weiteren sekundären emotionalen Schmerzkomponente, dem Leid. Er erfährt also zweifaches „Wehgefühl“, nicht wissend, dass die sekundäre Komponente vermieden werden kann. Und zwar, indem er den primären Schmerz akzeptiert und ihn mit einer achtsamen Haltung wahrnimmt, betrachtet, erkundet und ihn so annimmt, wie er ist.
Schmerz gehört zum Leben
Die Verallgemeinerung dieser Logik findet sich in den „Vier Edlen Wahrheiten“ wieder. Sie repräsentieren die Basis der Lehrrede des Buddha. Die erste Edle Wahrheit sagt aus, dass zum Leben auch Schmerz und Leid gehören – ob wir wollen oder nicht. Die zweite lehrt, dass die Ursache allen Leidens das Festhalten an vergänglichen Dingen und die Inakzeptanz dessen ist, was ist. Die dritte Edle Wahrheit besagt, dass es möglich ist, das Leiden zu überwinden. Der Edle Achtfache Pfad zeigt schließlich auf, welchen Weg Menschen gehen müssen, wenn sie sich vom Leiden befreien wollen. Dazu zählt die Entwicklung der Achtsamkeit.
Die heutige Wissenschaft und Erforschung von Achtsamkeit bekräftigt diese buddhistischen Weisheiten. Es ist bemerkenswert, dass der sensorische Schmerz (erster Pfeil) und der emotionale Schmerz, also das Leiden aufgrund unserer Haltung der Inakzeptanz (zweiter Pfeil), neurologisch in unterschiedlichen Bereichen lokalisiert sind. Der Sachverhalt kann gewissermaßen auch mathematisch verdeutlicht werden: Leiden (L) = Schmerz (S) x Widerstand (W), also L = S x W. Je geringer also der Widerstand gegen einen primären Schmerz ist, desto geringer ist das Leiden, also der sekundäre Schmerz und umgekehrt.
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Der primäre Schmerz lässt sich kaum beeinflussen
Der primäre Schmerz kann körperlicher oder emotionaler Natur sein. Auf den primären Schmerz haben wir besonders bei chronischen Schmerzen einen nur bedingten Einfluss, sehr wohl aber auf das Leiden, also den sekundären Schmerz. Oft beobachtet man darüber hinaus ein Phänomen: Je geringer der sekundäre Schmerz, desto geringer wird auch der primäre Schmerz. Je geringer mein Widerstand gegen den Schmerz wird, desto geringer werden Stress und körperliche Verspannung. Achtsamkeitsansätze bieten somit eine Option zur Verringerung emotionalen Leidens und sensorischer Schmerzen.
Helmut Nowak ist Coach und Lehrer für Achtsamkeit und Stressbewältigung und schildert hier regelmäßig, wie man lernt, bewusster zu leben. Der Autor ist zu erreichen unter www.achtsamkeit-und-co.de.
In der Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Expertinnen und Experten zu den Themen Diversität, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit.