Das Ende der „Hot Hatches“ rückt näher: Ist der Hyundai i20 N der letzte seiner Art?
Hyundai i20.
© Quelle: Hyundai
Das nennt man Alleinstellungsmerkmal. Der erst 2020 vorgestellte Hyundai i20 N wird – wenn Ford im Zeichen der Elektrifizierung seiner Pkw-Flotte im Sommer, wie geplant, den Fiesta ST vom Markt nimmt – der Letzte einer aussterbenden Art sein. Die Rede ist vom „Hot Hatch“ (Kurzform von „Hot Hatchback“, englisch für „Heißes Schrägheck“), dem alltagstauglichen Biedermann-Auto der Kompaktklasse mit vier Türen und Heckklappe, das dank PS-starkem Motor und auf Sportlichkeit getrimmtem Fahrwerk aber über Brandstifterpotenzial verfügt. Weiteres wichtiges Charaktermerkmal: ein maßvoller Preis.
Hyundai i20 N bietet starkes Gesamtpaket
Im Fall des Hyundai i20 N liegt dieser Preis bei rund 25.600 Euro, in der sogenannten „Performance“-Ausführung bei etwa 29.000 Euro. Das ist noch immer viel Geld, für das der Käufer allerdings ein Gesamtpaket bekommt wie zurzeit nirgendwo sonst. 1,6-Liter-Vierzylinder Turbo mit 204 PS, maximales Drehmoment von 304 Nm bei 2000 U/min, ein Gewicht von unter 1,2 Tonnen und dazu eine Ausstattung mit allem, was das Auto schon in der WRC, der Rallye-Weltmeisterschaft, so erfolgreich gemacht hat. Verstärkte Kupplung und Lenkung, härtere Federn und Dämpfer, innenbelüftete Bremsen mit 320 Millimeter großen Scheiben vorne.
Dazu fünf Fahrprogramme, eine „Custom Mode“ – sowie eine Zwischengasfunktion, eine einstellbare Stabilitätskontrolle und eine Auspuffanlage mit Klappensteuerung. Und selbstverständlich ist eine Sechsganghandschaltung an Bord, so, wie sich das für einen Kompaktsportwagen gehört. Man sieht, bei Hyundai nehmen sie die Sache mit dem Sport ernst, was übrigens schon das „N“ in der Modellbezeichnung zum Ausdruck bringen soll. Denn das steht in der Modellpalette der Marke nicht nur für das Entwicklungszentrum im südkoreanischen Namyang, sondern auch für Nürburgring, in dessen unmittelbarer Nähe Hyundai ebenfalls ein Testzentrum unterhält.
Hyundai i20.
© Quelle: Hyundai/Ingo Barenschee
Angefangen hat alles auf dem Nürburgring
Begonnen aber hat die Geschichte der „Hot Hatches“ nicht auf dem Nürburgring und schon gar nicht in Südkorea. Vielmehr liegt die Geburtsstätte in Wolfsburg. Dort, wo man vor bald einem halben Jahrhundert, 1974, mit dem Golf I nicht nur ein neues Modell, sondern, wie sich bald zeigen sollte, gleich auch noch ein neues Fahrzeugsegment aus der Taufe gehoben hatte, die Kompakt- oder, im Volksmund, die Golf-Klasse. Ein paar findige Köpfe bei VW hatten nun die Idee, dem Normalo-Golf eine Sportversion zur Seite zu stellen, sodass 1976, nach nur zweijähriger Entwicklungszeit, der erste Golf GTI das Licht der Straße erblickte. Mithilfe von 110 PS, damals eine stattliche Pferdestärkenzahl, und einer Einspritzanlage degradierte der Golf GTI auf der Landstraße selbst ausgewiesene Sportwagen wie Porsche 924 oder Renault Alpine A310 zum zweitbesten Auto.
Dieses geniale Marketingkonzept – ein Auto, das einerseits die Familie in den Italien-Urlaub brachte, andererseits aber bei jeder Fahrt zur Arbeit einen Heidenspaß versprach – rief natürlich nahezu die gesamte Konkurrenz auf den Plan, und schon bald wimmelte es nur so von GTI-Klons. Ob Opel mit dem Kadett GTE, Ford Escort mit dem XR3, Renault mit dem R5 Turbo oder Peugeot mit dem ebenfalls legendären 205 GTI – sie alle sprangen auf diesen Zug auf, und die meisten fahren bis heute sehr gut damit. Womit wir wieder beim Hyundai i20 N wären.
Hyundai i20.
© Quelle: Hyundai/Ingo Barenschee
Der hat sich in nur drei Jahren selbst bereits so etwas wie Kultstatus erfahren. Was zum einen mit seinen ausgewiesenen Qualitäten zu tun hat, zum anderen aber auch damit, dass die einstigen „Hot Hatches“ wie Golf GTI, Renault Megane RS oder Honda Civic Type R im Laufe ihrer Modellgeschichte immer größer, schwerer, stärker und teurer geworden sind. Ein Golf GTI kostet in der „Clubsport“-Ausführung heute doch rund 46.000 Euro, ein Megane RS mindestens 51.000 Euro. Und ein Honda Civic Type startet gar erst bei 55.500 Euro.
Hyundai i20 N – „eine herausragende Erscheinung“
Umso mehr begeistert der i20 N. Das britische Kultautomagazin „Top Gear“ veranstaltet jährlich im November eine sogenannte Speed Week, eine Rennwoche, bei der auf einem Race Track Supersportler wie Lamborghini Huracan, E-Auto-Boliden wie Porsche Taycan, Exoten wie der offene, dreirädrige Morgan Super 3, Klassiker wie der schon erwähnte Peugeot 205 GTI und eben auch „Hot Hatches“ antreten. 2021 war erstmals auch der kleine Hyundai mit von der Partie, der schließlich nicht nur ins Finale, sondern gar auf den Thron fuhr. Der i20 N sei nicht nur in seiner Klasse, sondern im gesamten Teilnehmerfeld „a standout“, „eine herausragende Erscheinung“, so „Top Gear“, und damit der verdiente „Gewinner der Speed Week 2021″.
Wie lange die Koreaner aber überhaupt noch mit diesem Gewinner planen, ist ungewiss. Fakt ist, dass Hyundai und Konzern-Tochter KIA wie kaum andere Hersteller die Elektrifizierung ihrer Flotte mit großem Erfolg vorantreiben. Der i20 N könnte also schon bald in Rente gehen (müssen). „Dabei hatten kompakte, kleinere Autos mit hoher Motorleistung und sportlichen Fahrwerken jahrzehntelang nicht nur in Deutschland eine für den Hersteller durchaus gewinnträchtige Nischenposition“, weiß Werner Hagstotz. Dass diese Fahrzeuggattung heute zunehmend abgewickelt wird, habe nichts mit nachlassenden Wünschen der Kundinnen und Kunden zu tun, sondern vor allem mit den politischen Zielsetzungen zur Liquidierung des Verbrenners zugunsten der staatlich verordneten E-Mobilität, so der emeritierte Professor für Markt- und Meinungsforschung an der Fachhochschule für Wirtschaft in Pforzheim. „Die Hersteller reagieren unter Zwang, da sie sonst von der EU mit CO₂-Strafen in Millionenhöhe belegt werden.“
Experte: „Hot Hatch“ mit E-Motor würde nicht funktionieren
Der Professor glaubt nicht, „dass ein ‚Hot Hatch‘ auch mit Elektro- statt mit Verbrennungsmotor funktionieren würde. Der vermeintliche „Hot Hatch“ wäre durch den Akku einige Hundert Kilo schwerer, was trotz der einem E-Motor systemimmanenten, guten Beschleunigung zulasten von Handling und Agilität gehen würde.“ Und beinahe ebenso schwer würde wohl der emotionale Faktor wiegen. „Fans des ‚Hot Hatch‘ würde der Sound eines Verbrenners fehlen“, ist Hagstotz überzeugt, der seit über 20 Jahren ein Marktforschungsinstitut betreibt und für etliche größere Motorrad- und Automobilhersteller arbeitet. Er selbst wird den „Hot Hatch“ jedenfalls vermissen, fährt er unter anderem doch einen „Polo GTI mit dem Zweiliter-Turbo mit 200 PS“.
Hyundai i20.
© Quelle: Hyundai/Ingo Barenschee
Aber zurück zum Hyundai i20 N. Ob der, als Letzter seiner Art, einmal Sammlerwert erreichen kann, wie ihn sich zum Beispiel ein Golf GTI der ersten Generation erarbeitet hat, der je nach Zustand und Laufleistung heute durchaus 25.000 Euro und mehr kosten kann, hält der Automobilexperte für fraglich. Einen Wertzuwachs nehme er für die nächsten fünf Jahre jedenfalls nicht an, allerdings würden wohl vergleichsweise geringere Wertverluste anfallen als bei anderen Pkw.
Schneller mit dem möglichen Wertzuwachs könnte es bei Special Editions mit relativ geringen Verkaufszahlen oder den definitiv letzten gebauten Modellen einer „Hot Hatch“-Modellreihe gehen, wie dem oben genannten und im Sommer auslaufenden Fiesta ST. „Und sollte beispielsweise der VW Polo GTI kurz vor Produktionsstopp in einer limitierten und verbrieften Last Edition verfügbar sein, dann würde ich ihn sofort kaufen“, sagt Hagstotz, und fügt lachend hinzu: „Andere aber sicher auch.“