Wie man verbale Attacken elegant kontert
Schreien ist keine gute Lösung: wie man Verbalattacken elegant pariert.
© Quelle: Gina Patan
Auf den Angriff war ich nicht vorbereitet: Eben noch sprach ich vor den Führungskräften eines Konzerns über Unternehmenskultur. Doch nun starre ich auf einen grauhaarigen Mann Anfang 60 in der ersten Reihe: Er ist aufgesprungen und pöbelt, sein Kopf glüht, Wut verzerrt sein Gesicht. Hektisch reißt er einen Gegenstand aus seiner Aktentasche. Ich will in Deckung gehen. Aber mein Körper gehorcht nicht, der Schreck nagelt mich auf der Bühne fest.
Der Mann zieht ein Buch hervor, reckt es in die Höhe und ruft: „Dieser Mann, der hier über Führung spricht, hat das Chefhasser-Buch geschrieben. Ich wiederhole: Chefhasser-Buch! Herr Wehrle ist ein Hassprediger. Ich habe dieses Buch extra gelesen, um ihn zu entlarven. Mit welchem Recht will so jemand uns etwas über Führungskultur erzählen? Ich glaube ihm kein Wort.“
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„Stehe ich jetzt nicht wie der letzte Depp da?“
Im Raum ist es so still geworden, dass ich meinen Puls in den Ohren hämmern höre. Alle Augen sind erwartungsvoll auf mich gerichtet. Wie würde ich auf den Angriff reagieren? Ein Gefühl von Peinlichkeit durchströmt mich. Stehe ich jetzt nicht wie der letzte Depp da? Und das nur, weil der Verlag mein Buch mit diesem reißerischen Titel versehen hat?
Aber dann, eine Millisekunde später, gelingt es mir, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten: Ich stelle mir vor, ein Reporter zu sein. Was ich da beobachte, ist spannend: Ein Redner spricht über Führung – und jetzt ist so richtig Leben in die Bude gekommen. Jetzt hat ihm das Schicksal die Chance geschenkt, selbst Führungsqualitäten zu beweisen.
Humor als Waffe
Der Angreifer schäumt vor Wut. Er wirkt unbeherrscht, hat seine Gefühle nicht unter Kontrolle. Ist er selbst eine schlechte Führungskraft? Fühlt er sich angegriffen? Beweist seine heftige Reaktion nur, dass der Vortrag ins Schwarze trifft?
Sein unkontrollierter Ausbruch bietet mir als Redner die Gelegenheit, die Worte des Wüterichs auf glaubwürdige Weise zu widerlegen: durch eine gelassene und humorvolle Reaktion, dem Rat des Aristoteles folgend, man solle den Ernst der Gegner durch Gelächter zunichtemachen.
In kürzester Zeit habe ich es geschafft, aus meiner Haut zu schlüpfen. Ich sehe mich nicht mehr als den Blamierten, sondern blicke mit Abstand auf die Situation. Ich erfasse die möglichen Motive des Angreifers. Und ich erkenne in seiner Attacke die Chance, meine Thesen durch eine respektvolle und souveräne Reaktion zu unterstreichen.
Martin Wehrle ist Karrierecoach und Autor. Dieser Artikel ist ein bearbeiteter Auszug aus Martin Wehrles frisch erschienenem Buch „Wenn jeder dich mag, nimmt keiner dich ernst – Sagen, was man denkt. Bekommen, was einem zusteht“ (Mosaik, 2023).
© Quelle: Verlag/privat
Angreifer mit Humor schachmatt setzen
Diese neue Sicht entspannt mich. Ich spüre, wie mein Puls ruhiger wird. Während alle Blicke an mir kleben, sage ich freundlich und bestimmt zu dem Angreifer: „Ich möchte Ihnen gleich zweifach danken, dass Sie sich zu Wort gemeldet haben.“ (Völlig unerwartete Reaktion: Ich spreche Dank aus, statt mich zu rechtfertigen oder zurückzupoltern.) „Zum einen ist es mir bislang kaum passiert, dass jemand ein komplettes Buch von mir gelesen hat, nur um sich auf einen Vortrag von mir vorzubereiten.“ (Ich streue Humor ein und deute die Lektüre des Buches zu meinen Gunsten – was zu ersten Lachern im Saal führt.) „Und zweitens möchte ich Ihnen danken, dass Sie inhaltlich einen wichtigen Punkt angesprochen haben: Es stimmt, ich gehe wirklich kritisch mit Führungskräften ins Gericht.“ (Ich gebe zu, was er mir vorwirft – nur wende ich es ins Konstruktive.)
Weiter führte ich aus: „Ich will Ihnen nicht nach dem Mund reden, dann würden Sie Ihre Zeit hier verschwenden. Darum spiegele ich Ihnen genau jene Kritik, die ich von Mitarbeitern in Beratungsgesprächen höre. Das sind wichtige Rückmeldungen, die kaum in der Chefetage ankommen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass das Ihren Horizont erweitert, und Sie können alle gut damit umgehen.“ (Statt mich zu rechtfertigen, dass ich Führungskräfte kritisch beurteile, erkläre ich genau das zu meiner Methode – und hebe die Vorteile hervor, die dieses Vorgehen für die Zuhörer hat).
Damit war der Angreifer schachmatt gesetzt, und ich konnte in Ruhe weiterreden. Der Vortrag wurde am Ende ein voller Erfolg.
Positive Umdeutung
Eine der besten Techniken, schlagfertig zu reagieren, ist die positive Übersetzung. Das funktioniert folgendermaßen: Deuten Sie einen Angriff zum Kompliment um. Der Zuhörer sagt zu mir: „Herr Wehrle ist ein Hassprediger.“ Ich mache daraus: „Ich habe den Mut, Führungskräften kritische Dinge zu sagen, die ihnen normalerweise verschwiegen werden.“ Er sagt in etwa: „Ich habe dieses Buch extra gelesen, um ihn zu entlarven.“ Ich mache daraus: „Sie sind ein besonders fleißiger Zuhörer, weil Sie sich durch die Lektüre meines ganzen Buches vorbereitet haben.“
Er sagt: „Mit welchem Recht will so jemand uns etwas über Führungskultur erzählen? Ich glaube ihm kein Wort.“ Ich mache daraus: „Gerade weil ich die ungeschminkte Wahrheit sage, bin ich genau der Richtige, um über Führungskultur zu sprechen.“
Innerlich gelassen bleiben: So geht’s
Nutzen Sie die positive Umdeutung, um souverän auf Vorwürfe, Angriffe und sogar Beleidigungen zu reagieren. Wenn jemand zu Ihnen sagt, dass Sie keinen Spaß verstehen können, antworten Sie: „Wenn damit gemeint ist, dass ich mich nicht beleidigen lasse, kann ich das sofort unterschreiben.“ Wenn Ihnen jemand unterstellt, Sie hätten nicht begriffen, wovon eigentlich geredet wird: „Das ist richtig, was Sie sagen: Ich habe noch ein paar wichtige Fragen, die wir klären müssen.“ Und wenn Ihnen jemand unterstellt, dass Sie sich in alles einmischen, können Sie sagen: „Wenn das bedeutet, dass ich mein Wissen gern zum Vorteil des Teams teile, dann stimme ich sofort zu.“
Statt auf Vorwürfe und Verbalattacken anzuspringen, wie es der Angreifer erwartet, konzentrieren Sie sich auf das mögliche Kompliment, um ihn sozusagen zu entwaffnen. So verändern Sie das sogenannte Framing, also den Bedeutungsrahmen, und der Angriff perlt von Ihnen ab, ohne dass Sie die Fassung verloren haben und ins gleiche Horn blasen wie der Gegner. Statt in den Kampf- oder Fluchtmodus abzurutschen, bleiben Sie innerlich gelassen. Der andere ist verantwortlich für das, was er sagt – und Sie bestimmen, was Sie hören. Mit dieser Haltung wird Ihnen das Gleiche gelingen wie mir: Sie können eine rhetorische Attacke entschärfen.