Ramadan und Arbeit: Soll man fastenden Kolleginnen und Kollegen gratulieren?
Gebetsketten und Datteln liegen auf einem Tisch.
© Quelle: Rauf Alvi/Unsplash
Der Ramadan ist für viele Muslime und Muslimas eine ganz besondere Zeit. Einen Monat lang verzichten viele von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Wenn es dunkel ist, treffen sie sich zum gemeinsamen Abendessen.
Nimmt man den ganzen Tag nichts zu sich, können Konzentration und Leistungsfähigkeit leiden – auch wenn sich der Körper in der Regel mit der Zeit an das Fasten gewöhnt. Es kann also sein, dass Fastenden die Arbeit etwas schwerer fällt als sonst. Wie kann man fastende Kolleginnen und Kollegen unterstützen – und sollte man das überhaupt?
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Inwieweit sollten Arbeitgeber und Mitarbeitende Rücksicht nehmen?
Das ist eine heikle Frage, sagt der Religionssoziologe Rauf Ceylan: „Man arbeitet ja in einem Team. Da muss man sich fragen: Ist es überhaupt angebracht, eine Sonderbehandlung zu wünschen?“ Der Professor für gegenwartsbezogene Islamforschung an der Universität Osnabrück weist darauf hin, dass die Entscheidung, zu fasten, eine individuelle ist. „Wenn ich faste, dann kann ich nicht erwarten, dass andere ‚mitfasten‘. Denn das tun sie ja indirekt, wenn sie einen Teil meiner Arbeit übernehmen und dadurch selbst mehr zu tun haben.“
Wenn die Kolleginnen und Kollegen freiwillig anbieten, Aufgaben abzunehmen, dann sei das begrüßenswert – sei aber gar nicht im Sinne der Religion. „Der normale Alltag soll trotz Fasten weitergehen. Wer sich entschließt zu fasten, muss selbst die Konsequenzen tragen“, meint Ceylan. Dementsprechend sei es auch nicht unhöflich, vor einem oder einer Fastenden zu essen. Niemand müsse heimlich von seinem Pausenbrot abbeißen.
„Das Fasten ist zwar eine der fünf Säulen des Islam – aber nicht um jeden Preis“, sagt Ceylan. Man müsse abwägen, ob Fasten und Arbeiten zusammen funktionieren. Einerseits sollte das Fasten nicht die Gesundheit gefährden, andererseits auch nicht die Kolleginnen und Kollegen, sagt der Experte. Wer zum Beispiel schwere Maschinen bedient oder als Fluglotse arbeitet und sich durch den Verzicht auf Essen und Trinken schlechter als sonst konzentrieren kann, läuft etwa eher in Gefahr, einen Unfall zu verursachen.
Außerdem: Das Fasten sei keine unabdingbare Pflicht, erklärt der Experte. Die Religion sei flexibel. Muslime und Muslimas haben die Möglichkeit, zu einer anderen Zeit im Jahr zu fasten. Wer nicht in der Lage ist, zu fasten, könne alternativ Geld spenden, um den Geist des Ramadans zu feiern.
Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber, Arbeitnehmenden entgegen zu kommen?
Grundsätzlich gilt: Wer fastet, muss den Arbeitgeber nicht darüber informieren. „Ich rate allen Beteiligten im Rahmen ihrer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme offen miteinander zu kommunizieren“, sagt der Rechtsanwalt Tobias Klingelhöfer. Wissen Chefin oder Chef frühzeitig über das Fasten Bescheid, können sie zum Beispiel Dienste anders als sonst planen oder während des Ramadans andere Aufgaben zuteilen. Klingelhöfer weist auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hin. „Wird einem muslimischen Mitarbeiter also eine Sonderregelung eingeräumt, müssen auch den anderen Mitarbeitern unter Umständen entsprechende Angebote gemacht werden“, erklärt er.
„Chronischer Stress zermürbt auch Menschen in Unternehmen mit Tischkicker und Obstkörben“
Zwei von fünf Menschen verschweigen psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz. 43 Prozent der Betroffenen fürchten, es könne ihnen im Job schaden. Das zeigt eine Umfrage des Karrierenetzwerks Linkedin. Wie Unternehmen ihre Mitarbeitenden unterstützen können, erklärt Arbeitspsychologin Laura von Gilsa.
Steht eine Abgabe für ein wichtiges Projekt innerhalb der Fastenzeit an, können Chefinnen und Chefs das Gespräch mit den fastenden Mitarbeitenden suchen. Schafft er oder sie die Deadline – oder kann vielleicht eine Kollegin oder ein Kollege übernehmen, die oder der nicht fastet? „Die Fastenzeit kommt ja nicht überraschend, sodass das Unternehmen entsprechend die Ressourcen einteilen kann“, sagt Asma Hussain-Hämäläinen, Fachanwältin für Arbeitsrecht, gegenüber dem Magazin „Impulse“.
Religionssoziologe Ceylan schlägt vor, dass Arbeitgeber einmal zum Iftār, einem gemeinsamen Abendessen nach Sonnenuntergang, einladen – sowohl fastende als auch nicht fastende Mitarbeitende. „So entsteht Verständnis füreinander und Arbeitgeber fördern Nähe“, sagt er.
Welchen Versicherungsschutz haben Fastende im Ramadan?
Den gleichen wie immer. „Die Mitarbeiter erhalten den vollen Versicherungsschutz“, informiert die Initiative Gesundheit und Arbeit.
„Individuelles Verhalten aus der Privatsphäre hat grundsätzlich keinen Einfluss auf sozialrechtliche Leistungen“, erklärt Laura Törkel, Pressesprecherin des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Der Unfallversicherungsschutz sei unabhängig vom individuellen Risiko. Eine Ausnahme gibt es: Wenn sich jemand mit Absicht verletzt, um Geld von der Versicherung zu bekommen. Fliegt so ein Fall auf, greift die Versicherung nicht.
„Es gibt darüber hinaus keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass ein geänderten Essverhalten zu einem erhöhten Unfallrisiko führt“, sagt Törkel. Sie weist darauf hin, dass nicht nur Muslime und Muslimas im Ramadan fasten, sondern auch nichtreligiöse Menschen – etwa beim Heilfasten.
Sollte man Fastenden zu Ramadan auf der Arbeit gratulieren? Und wenn ja, wie?
„Wenn ich weiß, dass jemand fastet, ist das eine schöne Geste“, sagt Religionssoziologe Ceylan. Allerdings, nur weil jemand Muslim oder Muslima ist, heißt das nicht automatisch, dass diese Person fastet.
„Ausnahmen gibt es für diejenigen, bei denen das Fasten zu gesundheitlichen Problemen führen kann“, informiert die Deutsche Islam Konferenz. Dazu zählen etwa Schwangere und Kranke. In der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ gaben 57 Prozent der Muslime und Muslimas an, „sich uneingeschränkt an religiöse Fastenvorschriften zu halten“. Das heißt im Umkehrschluss: 43 Prozent fasten nicht oder nicht so streng. Einige Gläubige, etwa Aleviten und Alevitinnen, fasten in der Regel nicht im Ramadan.
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Wie gratuliert man zum Ramadan?
„Man kann einfach einen gesegneten Ramadan wünschen“, sagt Ceylan. Zum Eid al-Fitr, dem Zuckerfest und Tag des Fastenbrechens, könne man genauso wie zu Weihnachten gratulieren. „Das ist eine sehr schöne Geste.“ Eine Liste von Sprüchen, die man digital verschicken kann, finden Sie in diesem Text.
Nach Eindruck des Religionssoziologen kommt Ramadan immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an. „Die typischen Fragen werden aber immer noch gestellt: Auch nichts trinken? Nicht mal Wasser?“, sagt Ceylan und lacht. Er hält solche Fragen für eine gute Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen. So wachse das Verständnis füreinander.